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18.09.2020

Staat­liche Krisen­politik in der Pan­demie

​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​Einige der ökonomischen Erkenntnisse zum Corona-Virus hat Prof. Dr. Lothar Funk, der Volkswirtschaftslehre, insbesondere Internationale Wirtschaftsbeziehungen, am FBW der HSD lehrt, kürzlich in zwei wissenschaftlichen Aufsätzen in der Zeitschrift „wisu – Das Wirtschaftsstudium“ veröffentlicht. Siehe die Literaturquellen unten. Professor Funk veröffentlicht in dieser didaktisch ausgerichteten Zeitschrift bereits seit Anfang der 1990er-Jahre regelmäßig mehrere Beiträge im Jahr.


Staatliche Krisenpolitik in der Pandemie​

Seuchen können sich in der bis zum Beginn des Jahres 2020 stark globalisierten Welt mit hoher grenzüberschreitender Beweglichkeit nicht nur von Gütern, sondern auch von Menschen, sehr schnell an jeden Ort der Welt ausbreiten. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie wie im Fall von Covid-19 auch von Infizierten übertragen werden können, welche (noch) keine Symptome zeigen und zugleich dennoch sehr ansteckend sind. Die damit verbundene Herausforderung war und ist gewaltig, da wir seit Jahrzehnten nicht mehr von einer solchen öffentlichen Gesundheitskrise betroffen waren und zu deren Bekämpfung staatliche Kontaktbeschränkungen erforderlich wurden, welche gewaltige unerwünschte ökonomische Nebeneffekte mit sich gebracht haben und weiterhin bringen werden. Die Pandemie hat daher bis zur Entdeckung wirksamer medizinischer Gegenmaßnahmen bzw. zur Entwicklung flächendeckend einsetzbarer und wirksamer Impfstoffe ohne erhebliche unerwünschte Nebenwirkungen noch immer gewaltigen Einfluss auf unser berufliches und privates Leben.

Ein Ende Mai erschienener Beitrag beschäftigt sich vor allem mit den zu erwartenden gesamtwirtschaftlichen Effekten der Coronakrise auf Wirtschaftswachstum, Konjunktur, Preisentwicklung und Arbeitslosigkeit. Er wendet hier das im Studium der VWL im Bachelor übliche Standardmodell der Makroökonomik auf die aktuelle Situation an. Dies zeigt auch Studierenden, dass die ökonomischen Herausforderungen des medizinisch noch immer neuartigen Corona-Virus bereits mit den im ersten Studienjahr vermittelten Methoden der Volkswirtschaftslehre anschaulich vermittelt werden können. Hieraus lassen sich dann auch entsprechende wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen ableiten.​

Ein weiterer im September erschienener Aufsatz geht dann genauer auf die ökonomische staatliche Risikopolitik ein und erörtert im Einzelnen die vier zu erwartenden Phasen, welche regelmäßig Epidemien begleiten. Verbreitet sich eine Epidemie global, spricht man von einer Pandemie. Die letzte mit globalem Ausmaß forderte unmittelbar am Ende des 1. Weltkriegs viele Millionen Tote – laut der wissenschaftlichen Veröffentlichungen hierzu deutlich mehr als der Weltkrieg selbst. Dies zeigt, dass bei einer Pandemie einschneidende Maßnahmen erforderlich sind, welche der Aufsatz am Beispiel der staatlichen Risikopolitik in Deutschland in seinem Beitrag nach der Erörterung der unterschiedlichen ökonomischen Positionen zur Einschätzung der ökonomi-schen Folgen und der möglichen Bekämpfung der Verbreitung des Virus ohne allzu erhebliche wirtschaftliche Nebenwirkungen beschreibt.​​

Die Tabelle zeigt die üblicherweise auftretenden Phasen der Krise, welche in dem gerade erschienenen Beitrag im Einzelnen vorgestellt und erörtert werden. Eine idealtypische Einteilung der typischen Phasen einer Pandemie bietet sich nach den Kriterien der tendenziellen staatlichen Kontrollierbarkeit des Infektionsrisikos und der Kontrollierbarkeit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen von weiteren Infektionen an.​

​Weder in der Überraschungsphase der Pandemie zu Beginn (Feld I), noch in der nachfolgenden Phase 2 der Eindämmung (mitigation) und Unterdrückung (suppression) des Virus (Feld II) ist  angesichts des notwendigen Vorrangs der Minderung von Infektionen und daraus resultierenden Todesfällen eine staatliche Kontrollierbarkeit der ökonomischen und sozialen Folgen von (weiteren) Infektionen gegeben. Selbst dann, wenn es noch keine nachweislichen Fälle des Virus in einem Land gibt, kommt es in der Regel aufgrund der zu erwartenden Folgewirkungen zu geänderten Verhaltensweisen der besonders gut informierten Individuen und Unternehmen. Dies beinhaltet z.B. Umschichtungen von Finanzdepots mit immensen Folgen für die Börsen bei einer sich selbst verschärfenden Panik sowie eine Zunahme des Vorsichtsparens und Investitionseinbrüche, die ein Staat in der Regel nicht direkt verhindern kann, sondern worauf er und die Verantwortlichen der Notenbank gegenläufig mit expansiver Finanz- und Geldpolitik reagieren, soweit dies möglich ist.


Reichen dann die in Phase 2 zunächst ergriffenen staatlichen Maßnahmen – Isolation bzw. Quarantäne identifizierter Fälle und Risikogruppen – sowie zur Eindämmung eines sich schnell (zeitweise exponentiell) verbreitenden Virus und zur wenigstens adäquaten symptomatischen medizinischen Versorgung der betroffenen Bevölkerung nicht aus, sind noch weitergehende Kontaktbeschränkungen erforderlich, um immense Schäden für Mensch und Wirtschaft zu verhindern. Bei einer staatlichen Unterdrückungsstrategie des Virus wird eine sehr weit gehende Vermeidung von sozialen Kontakten verordnet, welche die Abflachung der Infektionskurve bei Beachtung dieser Regeln sehr wahrscheinlich macht. Der entscheidende Haken liegt allerdings in den mit einem „Lockdown“ von quasi flächendeckend eingeführten physischen Kontaktverboten und -minderungen verbundenen sehr hohen ökonomischen Kosten durch Verlust an volkswirtschaftlicher Wertschöpfung und den zusätzlich damit einher gehenden sozialen Kosten. Je länger diese Phase andauert, umso mehr befindet sich die betroffene Volkswirtschaft sozusagen „in freiem Fall“. Zur Kontrollierbarkeit der Neuinfektionen wird in dieser Lage die Kontrolle über die Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung kurzfristig quasi mehr oder weniger „aufgegeben“. Dies sehen Teile der davon in erster Linie negativ Betroffenen – trotz gewaltiger staatlicher Kompensationsmaßnahmen zum (teilweisen) Auffangen der wirtschaftlichen und sozialen Schäden – und trotz der von vielen Experten gesehenen Notwendigkeit hierfür äußerst kritisch.


Zur Wiederbelebung der Wirtschaft in Phase 3 (siehe Feld III) sind „Lockerungen“ der vorherigen rigiden Kontaktbeschränkungen und deren Ersatz durch mit der Wirtschaftsöffnung vereinbarten Schutzmaßnahmen (Hygiene-, Abstandsregeln, umfangreiches Testen, Handy-Nachverfolgung etc.) mit dezentralen staatlichen Verantwortlichkeiten auf Länderebene und kommunal nötig. Notgedrungen verschlechtert dies allerdings zunächst die staatliche Kontrollierbarkeit des Infektionsrisikos wieder. Im Gegenzug lassen sich jedoch die ökonomischen und sozialen Folgen besser kontrollieren.


Angesichts der Fragilität der Situation in dieser Phase ist jedoch zumindest zu Beginn mit Rückschlägen zu rechnen. Dies ist so lange der Fall, bis sich nach einer – aufgrund der noch immer vorhandenen wissenschaftlichen Unsicherheiten – letztlich von der Politik auf Basis wissenschaftlicher Beratung zu verantwortenden Phase des „Versuchs und Irrtums“ auch bei den staatlichen Maßnahmen ein neuer Regelungsrahmen „einpendelt“ hat. Nach und nach gewöhnen sich die Bürger an die neuen, zeitweise bis zur Überwindung der Pandemie erforderlichen Regeln (manchmal bezeichnet als – wohl vorübergehende – „neue Normalität“) und verinnerlichen sie im Laufe der Zeit. Wie gesagt: Immer wieder sind auch Rückschläge und Akzeptanzprobleme möglich, welche sich etwa in Deutschland in Demonstrationen gegen vermeintlich übertriebene staatliche Eingriffe zur Virusbekämpfung zeigen. In Phase IV gelangt man dann in die Situation, dass dem Staat eine gesellschaftlich akzeptable „Reprivatisierung der Risiken“ gelungen ist, bei dem sowohl die Infektionsrisiken mit Covid-19 wie auch die wirtschaftlichen und sozialen Folgen durch Corona aus staatlicher Sicht wieder kontrollierbar erscheinen.

Bis dahin ist allerdings nach jetzigem Wissensstand gerade in einer Zeit mit erhöhter Ansteckungsgefahr in Herbst und Winter noch eine erhebliche Wegstrecke zurückzulegen.  Denn in der kälteren Jahreszeit werden sich Menschen wieder vermehrt in engeren Räumen aufhalten, was die Ansteckungsgefahr tendenziell erhöht. Zunehmend könnte auch Nachlässigkeit bei der Einhaltung der neuen für die Überbrückungsphase notwendigen Hygieneregeln, etwa beim gewissenhaften Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in Bussen und Bahnen oder beim Einkauf eintreten. Diese Regeln sind aber bis auf Weiteres notwendig, damit die Lage nicht doch noch eskaliert. Hierbei können auch staatliche Sanktionen bei der Nichteinhaltung solcher Regeln erforderlich sein, wie es sie ja auch etwa bei der Nichteinhaltung von Straßenverkehrsregeln gibt, um die Gefahren dort klein zu halten.​

​Dies wird umso leichter gelingen, je überzeugender das staatliche Risikomanagement auf Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen aus verschiedenen Disziplinen ausfällt, und um so besser es politisch und auch in Wissenschaft und Medien in der Bevölkerung kommuniziert wird.


Literatur:

Funk, L.: Die Themen im Frühjahr 2020 – Makroökonomische Effekte der Corona-Krise / Opportunitätskosten der Corona-Krise. In: Das Wirtschaftsstudium (WISU), Nr. 5/2020, 49. Jahrgang, S. 536 -539.


Funk, L.: Die Themen im Sommer 2020 – Grundpositionen zur Coronakrise / Staatliche Krisenpolitik in der Pandemie. In: Das Wirtschaftsstudium (WISU), Nr. 8-9/2020, 49. Jahrgang, S. 866 -869.





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Dr. Lothar Funk ist Professor am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Hochschule Düsseldorf.
Prof. Dr. Lothar Funk

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